George Sand, die französische Schriftstellerin, die man einst auf den komplizierten Namen Amantine Aurore Lucile Dupin de Francueil taufte, war eine emanzipierte Frau und so etwas wie das Gegenstück zum eher zur Poesie neigenden Komponisten Frédéric Chopin, zu dem sie auf Mallorca eine Liebesbeziehung knüpfte. Beide kränkelten und zogen es deshalb vor, auf der Insel im Mittelmeer Linderung ihrer Leiden zu finden. An einem Frühlingstag fasste George Sand ihre Gefühle für das Tramuntana Gebirge und dessen wilde Schönheit in Worte: „Das Tal, so wundervoll in seiner Blütenpracht, die Luft so rein in unseren Bergen, das Meer so blau am Horizont“. Dem ist kaum etwas hinzuzufügen, denn die Gebirge im Nordwesten Mallorcas haben ihren Zauber von einst nicht verloren.
Vielmehr ist das Tramuntana Gebirge von höchster Stelle geadelt worden – als UNESCO-Welterbe. Dort zeigt sich das andere Gesicht Mallorcas, und die Prädikat als Welterbe verdiente sich Tramuntana durch das nahezu perfekte Miteinander von Natur, Kultur, Tradition und Spiritualität, das sich in dieser eindrucksvollen Landschaft mit ihren kargen Felswänden und schwindelerregenden Schluchten zu einer Harmonie vereint. Hier verliert sich die heitere und mediterrane Sphäre dieser schönen Insel, doch wer durch die schattigen Wälder der Eichen wandert, der ist fasziniert von einer einzigartigen Naturlandschaft.
Die Berge im Nordwesten Mallorcas erstrecken sich über eine Länge von neunzig Kilometern und über eine Breite von rund fünfzehn Kilometern. Sie werden von einer fast 180 Kilometer langen Berg- und Küstenstraße durchzogen. Die jeweiligen Fixpunkte sind das spektakuläre Cap de Formentor und das liebliche Port d’Andratx. Wer sich als Urlauber für diese Tour entscheidet, wird begeistert sein, denn die Aussichten von den Haltepunkten der Passstraße zählen zu den schönsten in Europa.
Den Landschafts- und Städteplanern auf Mallorca gebührt die Anerkennung für ihren Mut, die kleinen Dörfer und Städte im Tramuntana Gebirge so belassen zu haben, wie sie sich schon zu Zeiten Chopins und Sands präsentierten. Man bewahrte Tradition und Charme der Gemeinden, die sich friedlich am Südhang der Berge ducken und deren Einwohner es geduldig ertragen, wenn sie in der Hauptsaison von vielen Urlaubern besucht werden. Seit dem Jahr 2011 ist diese Idylle UNESCO-Welterbe und damit ein geschütztes Terrain als eine typische Kulturlandschaft der großen Insel der Balearen.
Wanderer sind hier stets willkommen. Die meisten folgen der Beschilderung der „Ruta de Pedra en Sec“. Damit ist der Fernwanderweg GR 221 gemeint. Er führt immer wieder entlang der alten Trockensteinmauern, die in diesem Gebirge auf einer Länge und sage und schreibe 20.000 Kilometern aufgetürmt wurden. Die Gesteinsformationen im Tramuntana Gebirge sind im übrigen um die 200 Millionen Jahre alt. Sie erhoben sich vor 20 Millionen Jahren, als sich die afrikanische Kontinentalplatte gen Norden verschob. Zu diesem Zeitpunkt, das haben Geologen erforscht, war Mallorca noch um mehr als fünfzig Prozent größer.
Das Welterbe der UNESCO entfaltet ihren ganz besonderen Reiz zur Abendstunde, wenn sich die Sonne hinter den grau-schwarzen Bergketten verabschiedet. Doch ein Besuch dieses Gebirges ist zu allen Tageszeiten ein Erlebnis. Insbesondere auf der Halbinsel Formentor, wo die Pinienwälder bis zur Baumgrenze wuchern und dort den rauen Felsen Platz machen. Vom „Colomer“ sagt man, dass dies die am häufigste fotografierte Perspektive auf Mallorca sei. Wer es sich als Autofahrer zutraut, der fährt hinauf bis zum sogenannten „Piratenturm“, der „Talaia d’Albercutx“. An keinem anderen Punkt dieser Insel ist das Bergpanorama derart gigantisch, wie hier.
Über fünfzig Gipfel mit einer Höhe von mehr als tausend Metern erheben sich auf der Serra. Die größten sind der Puig Major, der Galatzó und der Tomir, die um die 1.500 Meter in den zumeist blauen Himmel ragen. Diese Region beherbergt auch ein spirituelles Zentrum der Insel – das Santuari de Lluc. Dies ist gleichermaßen ein Kloster und ein Wallfahrtsort sowie ein Teil der kleinen Gemeinde Escorca. Das Kloster entstand im 13. Jahrhundert, und eine Legende besagt, dass die Gründung mit dem Fund einer schwarzen Madonnenstatue einher ging. Ein Hirtenjunge soll sie gefunden haben, und die „La Moreneta“ ziert heute den eindrucksvollen Barock-Altar des Klosters. Zum Areal dieser heiligen Stätte der Mallorquiner gehört ein Internat, ein Museum und ein Restaurant. Und die einstigen Zellen der Mönche wurden zu Unterkünften für Wanderer umgebaut.
Wer auf Mallorca die schönste Zeit seines Jahres verbringt und sich allein für Sonne, Sand und See begeistert, hat die vielleicht schönste Seite der Insel nicht gesehen. Dazu zählt zweifellos der kleine Ort Valldemossa, wo man auf den Spuren von Chopin und Sand wandelt. Aber hier ließen sich in den vergangenen Jahrhunderten auch gekrönte Häupter nieder, und die alte Kartause, die in Georg Sands Roman „Ein Winter auf Mallorca“ eine Rolle spielt, gibt es noch immer. Im lauschigen Garten der Kartause wird so mancher Besucher von dem Gefühl heimgesucht, dass hier der Zeiger der Zeit irgendwann einmal stehen geblieben sein muss.
In der Tramuntana zeigt sich die Natur von seiner schönsten Seite, und sie ist zweifellos an einem besonderen Tag der Schöpfung entstanden.